Seminar Neurodivers Frankfurt Rödelheim

NEURODIVERSITÄT

Menschen, die anders ticken

Menschen denken unterschiedlich und stellen auf verschiedene Weisen Bezug zur Welt her. Diesen Unterschiedlichkeiten im Denken und Auffassen der Welt wird seit Jahrzehnten, besonders in unserem Bildungssystem, mit Ausgrenzung und Pathologisierungen der jungen Menschen begegnet.

Kindern und auch erwachsenen „Sonderlingen“, die in ihrem Verhalten und Wahrnehmungen anders „ticken“, unterstellt man, dass sie Zusammenhänge nicht verstehen, dass sie Dinge nicht können und oftmals, dass sie einfach beschränkt sind.

Im 3. Reich waren sie eine der Personengruppe, die besonders der Massenvernichtung und gruseligen Experimenten am Menschen ausgeliefert gewesen sind.

Mit dem Bergriff „Neurodiversität“ wurde Ende 1990 von Judy Singer, einer australischen Sozialwissenschaftlerin die über Autismus geforscht hat, endlich ein Systemwechsel im Denken der Pädagogen und Psychologen angestoßen.

Der Begriff setzt sich aus „Neuro” (Nerven) und „Diversität” (Vielfalt) zusammen. Darunter versteht man die Annahme und Haltung, dass neurobiologische Unterschiede im Gehirn zur Bandbreite unserer Entwicklung gehören und keine Störung oder Krankheit darstellen. Nach dem Konzept der Neurodivergenz haben Menschen mit ADHS, Autismus und anderen „Lernstörungen” also keine Behinderung oder Störung. Stattdessen spiegeln sie lediglich eine andere Art der Funktionsfähigkeit des menschlichen Gehirns wider – eine Ausprägung auf einem breiten (normalen) Kontinuum, denn es gibt keine zwei Gehirne, die sich gleichen. „Jeder Mensch hat ein einzigartiges Nervensystem mit einer einzigartigen Kombination von Fähigkeiten und Bedürfnissen. Das ist alles.“ Judy Singer

Erst jetzt werden beispielsweise die Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus, nicht mehr als Entwicklungsstörungen gesehen, sondern als neurologische Vielfalt. Dadurch wird der Fokus von den Konzepten wie Krankheit und defizitärer Entwicklung in Richtung Vielfalt und Individualität verschoben.

„Menschliche Gehirne sind wie Schneeflocken. Von weitem sehen sie alle gleich aus, aus der Nähe betrachtet ähnelt keins dem anderen… Wenn wir mehr Diversität zulassen, wenn der Unterricht und Schulen sich auf unterschiedliche Lernwege einstellen, dann führt das auch zu größeren Lernerfolgen“, sagt Prof. Dr. André Frank Zimpel in seinem Vortrag im April 2023 in Hamburg,

Bei seinen Studien stellten Zimpel und seine Kollegen immer wieder fest, dass Menschen mit verschiedenen Syndromen – ADHS, Trisomie 21 oder Dyskalkulie, Lese-Rechtschreibschwäche, – keine Lernbehinderung oder geistige Behinderung haben, sondern einen anderen Bezug zur Welt herstellen.

André Frank Zimpel ist Psychologe und Professor mit dem Schwerpunkt „Lernen und Entwicklung“ an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg. Er leitet das Zentrum für Neurodiversitätsforschung Hamburg/Eppendorf. Sein Vortrag hat den Titel „Neurodiversität – Anders, aber völlig richtig im Kopf„. Er hat ihn am 3. April 2023 im Dialoghaus Hamburg gehalten, im Rahmen der „Vorlesung für alle“ der Universität Hamburg.